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Ortsschild
Nauholz lebt:  Erinnerungen

 Nauholzer Haubergserinnerungen

Der Autor (Jahrgang 1956) kramt in Erinnerungen an Haubergsarbeiten im Laufe eines Jahres.

Berchdeilersch Gerdde

Dass es mit den Haubergsarbeiten im späten Winter richtig los ging, merkte ich, wenn vom Dachboden unserer Scheune die Haubergs-Gerten geholt wurden. Diese viereckigen Stäbe wurden dem Haubergsvorsitzenden überreicht. Die Gerten wurden in ,,Großdeilerschgerdde" und ,,Kläängdeilerschgerdde" unterteilt. Die Gerten waren mit unterschiedlichen Kerben ge-kennzeichnet und dienten der Abmessung der Bergteile, die den jeweiligen Haubergsge-nossen entsprechend ihren Anteilen zustanden. Auf Nachfrage versuchte mein Vater, Fuhr-manns Wilhelm, wiederholt den Ablauf des Groß- und Kleinteilens zu erklären. In den Sechziger Jahren gab es in Nauholz 5 Haubergsbezirke, die jeweils besonders unter den Genossen aufzuteilen waren. Ein Haubergsanteil heißt ,,Penning" und je mehr Penninge man hat, desto größer natürlich der Nutzungsbereich. Die Begriffe ,,Stamm-Joo", ,,Altsohlstätten" und Insider-Gespräche beim gemeinsamen Abmessen der ,,Jöö" machten und machen das Bergteilen für mich bis heute zum ungelösten Geheimnis. Meine Tante Alma (Jahrgang 1931) gestand offen: ,,Jong, ich hann ett och nie begreffe." Tröstlich, dass immer noch einige Nauholzer wissen, wie damals geteilt wurde.
Heute im Zeitalter von Maßband, Taschenrechner und zusammengelegter Genossenschaft geht die ,,Deileräj" schnell und einfach über die Bühne. Geblieben ist das Zulosen der Lage der Jöö, die alten Haubergszeichen auf den ,,Moolern", den Grenz-Pfählchen zwischen den einzelnen Nutzungsteilen, und das gemütliche Beisammensein mit gelegentlich - nein mit stets - deftigem Umtrunk im Nauholzer Berg.

Frelln bi de Weeh

Im Pohl, einem kleinen Stau im Nauholzbach hinter unserem Haus, der auch zur Kühlung der Milchkannen diente, wurden speziell geschnittene Birkenreisige gewässert. Mein Großvater, Hoffmanns Wilhelm, war anerkannter Fachmann in der Beschaffung geeigneter Birkenäste. Die geschmeidig gemachten Reisige wurden ,,Weeh" genannt und dienten später zum Binden der Schanzen. Die im Bach gelagerten Weh lockten offensichtlich Bachforellen an, die nach sicheren Verstecken suchten. Das Fangen der Fische (,,Frelln") war natürlich nicht erlaubt.
Echt lecker!

Horror bimm Rumme

Beim ,,Rumme", dem Einschlag der dicken Bäume, kam es ,,In der Freermich" mal zu einem Zwischenfall, als ich unweit meines Vaters am Waldboden spielte. Ein lauter Verzweiflungs-schrei ließ mich aufschauen. Die Axt hatte sich beim Schlagen vom Stiel gelöst und war in meine Richtung geflogen. Das muss für meinen Vater ein absolutes Horror-Szenario gewesen sein. Vier Meter neben mir schoss die Klinge ins Laub. Der Splint, der von vorne den Stiel im Klingenloch sicherte, hatte sich gelöst. ,,Jong, itz go mr heim!"
Heute arbeitet man mit Motorsäge und Sicherheitsausrüstung - von der Berufsgenossenschaft gecheckt. Trotzdem...Vorsicht!

Schneißeln bemm Gnibb

Die Herstellung von Schanzen, den für das Brotbacken im Backhaus und fürs Feueranmachen zu Hause verwendeten Reisigbündeln, und von ,,Stäckebüern", den Bündeln der etwas stärkeren Stämmchen und Äste, unterlag zumeist den Frauen und Kindern. Das Haumesser, der ,,Gnipp", durfte auch schon von Jongedengern benutzt werden, um Zweige und Äste der gefällten Bäume abzuschlagen. Etwas länglichere Haumesser werden ,,Häpe" genannt.
Dieses ,,Schneißeln" genannte Entasten war nicht ungefährlich. Einmal habe ich mir beim Schneißeln im Nollen mit einer scharfen Häpe den halben Daumennagel abgetrennt. Es blutete stark und meine Mutter rief laut um Hilfe. Ein klarer Fall für Möllersch Ewald. Ewald war Betriebssanitäter und Profi in Fragen der Erstversorgung von Verletzten. Er eilte um-gehend aus seinem Joo herbei und stoppte die Blutung. Beißender Schmerz durch eine rote Tinktur blieb mir ebenso in der Erinnerung wie der Geschmack vom ersten Weinbrand und das ,,Bääh" genannte Baden der Wunde in Essigsaurer Tonerde. ,,Jong, häsde Glögge gehadd."

Hänn im Wasser

Klose-Schniersch Änni erzählte mir in den Achziger Jahren von einer eindrucksvollen Erinnerung an ihre Mutter Regina:
Regina hatte intensiv Schanzen gemacht. Die harte Arbeit im Hauberg mit den Reisigbündeln hatte ihre Spuren hinterlassen. Das Tagespensum einer Bauernsfrau umfasste zusätzlich zur Haubergsarbeit von morgens halb sechs bis abends um neun unzählige weitere Tätigkeiten. Änni wollte morgens ihre Mutter wecken und sah folgendes Bild: ,,Oos Mamme schleef so rechdich schäpp. Sie hadde die kapudde ressiche Hänn in enn Schoddl Wasser gelääd. Sie laue ömmer noch drenn."
Zur Linderung in einfaches Wasser gelegte Hände einer schlafenden Bauernsfrau...
Vielleicht sollte man das Arbeitsleben der Vergangenheit doch nicht allzu sehr verklären.
Die letzten richtigen Nauholzer Schanze fanden wir Jongedenger kurz vor dem Abbrennen in den Scheunen und Schuppen der leer gezogenen Häuser - ausgetrocknete, zerkrümmelnde, grauverstaubte Bündel - im Zeitalter der Zentralheizung und der Billigbrötchen überflüssig geworden.

Hauberchsschlerre i dr Krömm

Schwierig in dem engen Nauholztal war das Abtransportieren des ,,gerummten" Holzes. Die gefällten Stämme mussten an einen Holzabfuhrweg gebracht werden, von denen es früher viel weniger gab. An Rückepferde in Nauholz kann ich mich nicht erinnern. Da gab es nur Lotte, der rote Kaltblüter von Daubs, auf dem wir mal durchs Dorf reiten durften. Traktoren waren in den steilen Hanglagen nicht einsetzbar. Wo man heute mit an Treckern integrierten Seil-winden arbeitet, setzte man früher grob gefertigte ,,Hauberchsschlerre" ein: Einfache, über-große Rodelgefährte mit seitlichen Hochstangen (,,Runge"). Diese Riesenschlitten wurden mit den entasteten Stämmen schwer beladen, um sie dann bergab zu den Bergwegen gleiten zu lassen. Zum richtigen Rodeln im Schnee konnte man sie leider wegen ihres Gewichts nicht verwenden.
Beim letzten Haubergs-Einschlag in der ,,Krömm" setzte mein Großvater mich auf einen voll beladenen Schlerre und zog so lange, bis er in Richtung des Seitentalbaches rutschte. Der Schlitten geriet zu meiner Freude in rasche Fahrt. Immer schneller raste der Schlitten über den Waldboden zu Tal. Durch die Rüttelei rutschten immer mehr Stämme nach vorne und Opa Wilhelm konnten nicht mehr steuern. Er riss mich seitlich vom Schlitten und rollte mit mir weiter seitlich bergab. Wir kamen an einem Baumstumpf zum Halten. Wir konnten sehen wie der Schlitten mit seiner Ladung bergab schoss und sich auf dem Talweg unter der Wucht der Holzstämme in Stücke zerlegte. Opa Wilhelm hat mich geherzt. Gut, dass niemand von der Berufsgenossenschaft dabei war.

Schöwwel mit Ehrenplatz

Die Rinde der Haubergsbäume wurde bis in die 30er Jahre wegen der in der Rinde enthalten-en Gerbstoffe zum Gerben von Leder verwendet. Fuhrmanns Wilhelm gestand mir, dass er nur einen Tag in der Netphener Gerberei aushielt. Es stank infernalisch und da konnte der Landwirtssohn nicht mithalten und verzichtete auf den Zusatzverdienst. Die löffelförmigen Lohschälergeräte, Schöwwel genannt, überlebten in den Kellern und Bastelbuden der Nauholzer. Opa und Vater konnten noch mit dem Schöwwel zeigen, wie man früher die Lohe von den Stämmen schälte. Die Chemieindustrie fand Ersatzstoffe und die Lohgewinnung verlor ihre wirtschaftliche Bedeutung.
Einen Schällöffel mit einem wurmstichigen Stiel fand ich Jahre nach der Umsiedlung in einer Werkzeugkiste. Er hat einen Ehrenplatz in meiner ,,Nauholz-Ecke".

Köö hööre

Wenn die Schanzen mit einer Spannvorrichtung (,,Schanzebenner") auf den Wagen gesichert, heimgebracht und in der Scheune verstaut waren - wenn das Starkholz mit der kreischenden Kreissäge in Stücke gesägt, auf dem Ploch gespalten und ordentlich aufgestapelt (,,geährrd") war...dann herrschte im Hauberg frühherbstliche Ruhe. Das Verbrennen der Rasenstücke (,,Braasebröö") und der Anbau von Roggen oder Buchweizen im gerodeten Hauberg gehörte in den Sechziger Jahren bereits lange der Vergangenheit an.
Das feine, schmale und sehr saftige Gras im gelichteten Hauberg wurde zur Viehude genutzt. Ich kann mich an eine Hude im Bereich der Ochsenwiese erinnern. Die ,,Schellen" genannten Kuhglocken konnte man im engen Talkessel leicht orten. Das ,,Köö hööre" wurde allerdings nur selten von Familien betrieben, da die genossenschaftlich genutzte Nachtweide und die Weidekämpe das bequemere Angebot waren. Die Kühe waren aber ganz wild auf das leckere Haubergsgras. Biobauern aufgemerkt!

Gesöhmde Kressbaim

Wenn es so richtig weihnachtlich wird am Jahresende, denke ich gerne an die herrlichen Wintererlebnisse in Nauholz zurück. Am tollsten war der Tag vor Heiligabend:
Mit dem Traktor und angebundenen Schlitten und am Hang dann ohne Traktor zog man in eine Haubergs-Randregion. Im Herbst hatte sich der Nauholzer Haubergsgenosse schon einen schön gerade gewachsenen Christbaum ausgesucht. Einfache Rotfichte. Die ,,gesöhmte Kressbaim",- natürlich durch Tannenzapfen ausgesäte Fichten am Rande des Haubergs, wurden geschlagen und fanden, festlich geschmückt, einen herrlichen Lebensabend in der warmen Bauernstube.
Wunderbar romantisch waren die Rückfahrten mit dem eingebundenen Baum zum Dorf im tief verschneiten Tal.
Eine Kitsch-Szene aus alten Heimatfilmen? Nein, live erlebt und einfach klasse!
Heute sind die Weihnachtsbäume gezüchtete, gepflanzte und wohl behütete Edelteile, die bis in den Februar halten und in den Städten ein Schweinegeld kosten.
Wenn ich heutzutage im Rothaargebirge in den Ferien wandere, schätze ich im Vorübergehen unwillkürlich so manche wild gesähmte Schlicht-Fichte als herrlichen potenziellen Weih-nachtsbaum ein. Natürlich nehme ich letztlich dann doch einen von Friedhelms Tannen-plantage auf dem ,,Brämchen". Allerdings: Ein Nauholzer Kressbaum muss es schon sein!